In Aktion

Mit Musik ein Bewusstsein für die Natur schaffen

Der Komponist Ludger Kisters entwickelt Kompositionen aus Naturklängen und elektroakustischer Musik – und übersetzt diese in visuelle Kunst.

Ausgabe 1 | 2025

Zuerst ist es nur ein Raunen, wenn der Wind durch die Bäume streift. In der Ferne quaken Frösche, ein Vogel ruft sehnsuchtsvoll. Dann prasselt der Regen los, kraftvoll auf das Blätterdach des Amazonasregenwaldes, in dem der Komponist Ludger Kisters Mikrofone ausgelegt und unter Wasser montiert hat. Die Aufnahmen, die die faszinierende Biodiversität des bedrohten Ökosystems wiedergeben, hat Kisters in seiner Arbeit „Der Atem des Waldes – Klangspuren vom Amazonas“ als elektroakustische 5.1-Surround-Komposition verarbeitet.

„Die Musik, die ich komponiere, ist eigentlich für jeden zugänglich, da sie Menschen direkt anspricht und mit Naturklängen und Atmosphären arbeitet“, sagt Kisters. Ein möglichst gutes Soundsystem, aber vor allem Ruhe beim Zuhören seien die einzigen Voraussetzungen.

Es waren das Aufbaustudium in Elektroakustischer Komposition beim Installationskünstler Robin Minard an der Musikhochschule Weimar, die Bücher des Klangforschers Raymond Murray Schafer, der den Begriff der „Soundscapes“ prägte und in seine Kompositionen Vogelgezwitscher, Autolärm und Schritte im Schnee aufnahm, aber auch ein prägender Aufenthalt in Neuseeland mit Kontakt zur Musik der indigenen Bevölkerung der Māori, die Kisters Weg in seine heutige Musik bereiteten – und mit einem frühen Interesse zusammenfielen: „Ich beschäftigte mich schon als Kind viel mit der Natur und wollte Biologie studieren und Naturforscher werden. Naturklänge aufzunehmen und daraus Musik zu komponieren, ließ die beiden Interessenbereiche zusammenfließen.“

„Die Māori, die ich kennengelernt habe, waren sehr offen, ihr Wissen und ihre Musik mit mir zu teilen.“

Die Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Menschen und Musikern ist wichtiger Bestandteil von Kisters Arbeit. Während seines Studiums an der Victoria University of Wellington besuchte er am Department für Māori-Kultur Kurse zu Tänzen und Gesängen der indigenen Bevölkerung Neuseelands. Hier lernte er auch Richard Nunns kennen, einen neuseeländischen Musiker, der sich auf Instrumente der Māori spezialisiert hatte. Durch ihn lernte Kisters nicht nur selbst die Flöten Kōauau und Pūtōrino zu spielen, sondern auch das Schwirrholz zu drehen. „In der Kultur der Māori ist Musik traditionellerweise eng mit der Natur verbunden. Sie ahmt Tiergeräusche nach, ruft Gottheiten an oder wird zu Heilzwecken eingesetzt. Das ist oft ein ganz anderer Zugang zu Musik, als wir ihn aus Europa kennen.“ In Neuseeland nahm Kisters Musiksequenzen und Instrumente auf, und arbeitete diese in seine elektroakustischen Kompositionen ein. Er lud Musikerinnen und Musiker nach Deutschland ein, um bei Konzerten zu spielen und Workshops zu geben. „Die Māori, die ich kennengelernt habe, waren sehr offen, ihr Wissen und ihre Musik mit mir zu teilen.“

Ein DAAD-Graduiertenstipendium ermöglichte ihm 2009 ein Studium am Institute for Computer Music and Sound Technology (ICST) an der Zürcher Hochschule der Künste bei Germán Toro-Pérez. „Ich beschäftigte mich dort viel mit Ambisonics, den Phasen der Schallwellen im Raum, sowie mit der visuellen Sichtbarmachung von Klang durch Computersoftware.“ Dabei wird durch Programmierungen der Klang sozusagen in visuell sichtbare Formen ähnlich wie bei einem Film übersetzt. Wie fein gewobene Spinnennetze aus Linien wachsen diese Klangskulpturen dabei in unterschiedliche Richtungen, verändern ihre Farbe, Geschwindigkeit und ihr Aussehen. „Wenn man Klänge visuell übersetzt und das auf große Leinwände projiziert, entsteht eine weitere Deutungsebene, die auch einen spannenden Kontrast zur Musik bilden kann“, sagt Kisters.

In dieser Zeit entstanden auch die Aufnahmen am Amazonas. Der Bayerische Rundfunk hatte Ludger Kisters für eine 5.1.-Surround-Komposition beauftragt, die dann als Radioübertragung gesendet wurde. Wie eine akustische Fotofalle deponierte Kisters dabei die Mikrofone und sammelte sie nach Stunden wieder ein. „Dadurch konnten wir viel eindrucksvollere Klangkulissen erreichen“, sagt Kisters, „da die Tiere sich unbeobachtet fühlten.“

Auf die Verletzlichkeit und Bedrohung der Natur hinzuweisen, schwingt in Kisters Arbeiten immer mit. „Ich hoffe, mit meiner Musik ein Bewusstsein dafür schaffen zu können – ob ich jetzt Klangaufnahmen am Amazonas mache oder hier in Deutschland Unken in Schleswig-Holstein aufnehme. Ich hoffe, dass Menschen dadurch vorsichtiger mit der Natur umgehen.“ —

Ludger Kisters wurde 1975 in Rheinbach bei Bonn geboren. Er studierte Schulmusik an der Hochschule für Musik „Franz Liszt“ Weimar, danach folgten Studien der Komposition und Elektroakustischer Komposition in Weimar und Wellington (Neuseeland). Mit einem DAAD-Graduiertenstipendium studierte er 2009 am Institute for Computer Music and Sound Technology (ICST) an der Zürcher Hochschule der Künste bei Germán Toro-Pérez. Ludger Kisters Werkverzeichnis umfasst Kammermusik, elektroakustische Musik, Filmmusik, Klanginstallation, Vokalmusik, Orchesterwerke sowie die Kammeroper „Das Laboratorium mundi des Herrn Agrippa“. Er lebt und arbeitet als Komponist und Musikpädagoge in Berlin.