„Der neue Dolmetscherstudiengang schließt eine wichtige Lücke“

Wie professionelle Dolmetscher für indigene Sprachen in Mexiko die Rechte der indigenen Bevölkerung stärken sollen.

Ausgabe 1 | 2023

Autorin: Ulrike Scheffer

Nicht immer sind internationale Wissenschaftskooperationen so praxisnah wie die Zusammenarbeit von Professorin Martina Schrader-Kniffki mit Kolleginnen und Kollegen aus Mexiko. In einem vom DAAD geförderten Projekt hat die Mainzer Expertin für Spanische und Portugiesische Sprach- und Translationswissenschaft den Aufbau eines Studiengangs für das Übersetzen und Dolmetschen indigener Sprachen an der autonomen Universität Benito Juárez im mexikanischen Bundesstaat Oaxaca begleitet.

In Mexiko werden 68 indigene Sprachen gesprochen, einige sind als offizielle Landessprachen anerkannt. Professionelle Dolmetscherinnen und Dolmetscher für diese Sprachen gab es in der Vergangenheit aber kaum. Das hatte und hat bis heute schwerwiegende Folgen für Menschen aus indigenen Gemeinschaften. „Indigene, die sich in einem Gerichtsprozess verantworten müssen, können sich oftmals nicht ordentlich verteidigen“, erklärt Schrader-Kniffki. Nicht wenige seien zu Gefängnisstrafen verurteilt worden, obwohl sie unschuldig waren. Auch bei Krankenhausaufenthalten seien Indigene aufgrund von Sprachbarrieren benachteiligt. „Die Folgen können hier ebenfalls existenziell sein.“

Als Sprachmittler zwischen indigenen Sprachen und Spanisch fungieren in Mexiko neben Dolmetscherinnen und Dolmetschern oftmals auch Verwandte oder Bekannte. Das erschwert die gleichberechtigte Teilhabe von Indigenen am sozialen und politischen Leben. „Der neue Dolmetscherstudiengang für indigene Sprachen schließt eine wichtige Lücke, er trägt dazu bei, die Rechte der indigenen Bevölkerung in Mexiko zu stärken“, sagt Martina Schrader-Kniffki.

Gemeinsam mit indigenen Sprecherinnen und Sprechern erforscht sie nun, wie sich die Übersetzungspraxis von nicht- oder semiprofessionellen Dolmetscherinnen und Dolmetschern in mexikanischen Gerichten auf Prozesse auswirkt. Dazu werden Videoaufnahmen von Gerichtsverhandlungen transkribiert und ausgewertet. Das liefert auch Anhaltspunkte für die Ausbildung im Bereich des Fachdolmetschens an der Mainzer Partneruniversität. Anhand von Gerichtsakten und Texten von Missionaren analysiert Martina Schrader-Kniffki außerdem, wie in der Kolonialzeit zwischen Spanisch und der indigenen Sprache Zapotekisch übersetzt wurde. Was wurde übertragen, was weggelassen? Wie haben sich die Bedeutungen von Begriffen oder die damit verknüpften Werte durch die Übersetzung verändert? „Die Übersetzungskultur hatte großen Einfluss auf die Sozialstruktur indigener Gemeinschaften“, sagt die Mainzer Wissenschaftlerin.

Die Anforderungen an Dolmetschende entwickeln sich stetig weiter. Eine zunehmende Bedeutung kommt dem sogenannten „Community Interpreting” zu, wenn Sprachmittler etwa Geflüchtete zu Ämtern oder Ärzten begleiten. „Sie übersetzen dann nicht nur, sondern helfen oftmals auch, kulturelle oder religiöse Barrieren zu überwinden“, erklärt Schrader-Kniffki. Dolmetscherinnen und Dolmetscher müssen in einem solchen Setting viel erklären und lenken Gespräche manchmal auch aktiv. „Das ist durchaus vergleichbar mit der Situation in Mexiko, wenn Dolmetschende für indigene Sprecherinnen und Sprecher übersetzen.“

Im Fachbereich Translations-, Sprach- und Kulturwissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität beschäftigt sich ein eigener Arbeitsbereich mit interkultureller Kommunikation. Für die Projektpartner aus Mexiko war er eine wichtige Anlaufstelle während ihrer Besuche in Deutschland. Für Martina Schrader-Kniffki steht fest: „Beide Seiten können sehr viel voneinander lernen.“

Zur Person: Professorin Martina Schrader-Kniffki, 63, leitet den Arbeitsbereich für Spanische und Portugiesische Sprach- und Translationswissenschaft am Fachbereich Translations-, Sprach- und Kulturwissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Ihr Hauptinteresse gilt dem Übersetzen und Dolmetschen indigener Sprachen in Mexiko. In Zusammenarbeit mit der mexikanischen Universidad Autónoma Benito Juárez de Oaxaca hat sie am Aufbau eines speziellen Dolmetscher-Studiengangs für indigene Sprachen in dem mittelamerikanischen Land mitgewirkt.