In zwei Sprachen zu Hause

Professorin Naima Tahiri erforscht, wie marokkanische Migrantinnen und Migranten kommunizieren und welchen Einfluss das Land, in dem sie aufwachsen, auf ihre Sprache hat.

Ausgabe 1 | 2023

Autorin: Ulrike Scheffer

Fahne Marokko

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Wenn Kinder mehrsprachig aufwachsen, ist das eine Bereicherung. Für die jungen Menschen, die in zwei oder sogar mehr Sprachen kommunizieren können, und auch für die Gesellschaft. Doch wie beeinflusst Mehrsprachigkeit die Sprache selbst? Damit hat sich Professorin Naima Tahiri schon in ihrer Promotion intensiv beschäftigt. Sie untersuchte, wie sich der Sprachgebrauch junger Sprecherinnen und Sprecher der marokkanischen Berbersprache Tarifit verändert, wenn sie in Deutschland leben – und auch, ob es Einflüsse in die Gegenrichtung gibt, ob das Tarifit also ihr Deutsch beeinflusst.

Das Ergebnis: In welche Richtung die Einflüsse gehen, hängt zumeist davon ab, in welchem Alter Tarifit-Sprecher und -Sprecherinnen Deutsch lernen. In Sozialen Medien stieß Naima Tahiri außerdem auf kreative Sprachmischungen mehrsprachiger Zuwanderer.

„Die Jüngeren lernen Tarifit und Deutsch meist parallel“, erklärt die deutsch-marokkanische Linguistin. Deutsch dominiere jedoch in ihrer Alltagskommunikation. Das verstärke den Einfluss auf das Tarifit. Sowohl Laut- als auch Wort- und Satzstrukturen würden an das Deutsche angepasst. Bei Tarifit-Sprecherinnen und -Sprechern, die Deutsch erst im späteren Kindesalter oder als Jugendliche erlernen, stellte Naima Tahiri zwar ebenfalls Veränderungen in der Herkunftssprache fest. Diese seien aber deutlich geringer.

In Sozialen Medien vermischen junge Menschen, die Tarifit und Deutsch sprechen, ihre beiden Sprachen in der Regel. „Code-Switching“ nennt die Linguistik das. Tarifit, das nicht zu den Schriftsprachen zählt, wird dabei mittels lateinischer Schriftzeichen ausgedrückt. Laute, die es im lateinischen Alphabet nicht gibt, werden durch Zahlen ersetzt. Für jede Berbersprache hat sich ein funktionales Transkriptionssystem etabliert.

Naima Tahiri konnte bei ihrer Forschung erkennen, dass der Sprachwechsel junger Tarifit- und Deutsch-Sprecherinnen und -Sprecher in Sozialen Medien bestimmten Mustern folgt. Aussagen mit Bezug zur islamischen Religion oder zur marokkanischen Kultur etwa werden bevorzugt in der Berbersprache formuliert. „Tarifit benutzen junge Schreibende aus Zuwandererfamilien außerdem meist für Begrüßungsformeln, Koseworte und andere ritualisierte Formen. Die Sprache dient ihnen als Mittel, um Nähe zu schaffen.“

Manch ein Begriff aus dem arabischen Sprachraum hat es so auch ins Deutsche geschafft. So steht „Habibi“ zwar noch nicht im Duden, in deutschen Schulen wissen aber wohl alle, dass damit jemand gemeint ist, den man sehr mag. „Maschallah“ und „inschallah“ sind hingegen schon längst im Duden aufgenommen.

Zur Person: Professorin Naima Tahiri, 49, wuchs in Deutschland auf, wo sie Germanistik studierte und promovierte. Heute lebt sie in Marokko und lehrt Linguistik und Deutsch als Fremdsprache an der Sidi Mohamed Ben Abdellah University in Fès. Sie war und ist außerdem an verschiedenen vom DAAD geförderten wissenschaftlichen Kooperationsprojekten mit der Universität Paderborn beteiligt.