Im Austausch

Mehrsprachigkeit als Ziel

Bis vor Kurzem leitete Dr. Heiko F. Marten das DAAD-Informationszentrum in Riga. Im Interview spricht er über die Bedeutung der deutschen Sprache im Baltikum nach dem Angriff auf die Ukraine und die Frage, warum es wichtig ist, Minderheitensprachen zu schützen.

Ausgabe 1 | 2023

Interview: Sabine Giehle

Herr Dr. Marten, Sie waren bis vor kurzem Leiter des DAAD-Informationszentrums für Estland, Lettland und Litauen in Riga und haben lange Zeit in Schottland, Norwegen und dem Baltikum gelebt. Welche Bedeutung hat die deutsche Sprache im Baltikum?

Deutsch spielt eine wichtige Rolle. Es ist eine Art Ergänzungssprache. Das bedeutet, dass viele Menschen die Sprache können und in vielen Fällen sogar ganz gut. Deutsch ist die wichtigste Fremdsprache nach Englisch und Russisch und in den Schulen traditionell fest verankert. Das Deutsche wird ausgesprochen positiv gesehen.

Warum ist es wichtig, die deutsche Sprache vor Ort zu stärken?

Aus der Sicht der baltischen Länder geht es darum, die Verankerung in Europa und dem Westen weiter zu festigen, weshalb die politischen und wissenschaftlichen Verbindungen zu Deutschland noch mehr gestärkt werden sollen. Für das Baltikum ist Deutschland das wichtigste Land in Europa – und es ist kulturell und geografisch nicht weit entfernt.

Wie hat der Krieg in der Ukraine das Verhältnis der Balten zu Deutsch verändert?

Die Bedeutung des Russischen, dessen Rolle politisch schon immer sehr ambivalent war, hat deutlich abgenommen. Und zum Beispiel in Lettland gibt es die dezidierte Politik, die Präsenz des Russischen in den Schulen stark einzuschränken. Davon wird das Deutsche voraussichtlich profitieren. Allerdings hat das Deutschlandbild nach dem Angriff Russlands zunächst einen sehr großen Schaden genommen. Die Position der Bundesregierung wurde doch als sehr zögerlich wahrgenommen. Gleichzeitig ist Deutschland natürlich ein sehr wichtiger Partner. Man würde sich wünschen, dass Deutschland noch mehr für die Ukraine tun würde – aber insgesamt bleibt das Verhältnis zu Deutschland sehr positiv.

Sie haben sich auch mit Minderheitensprachen im Baltikum beschäftigt wie mit dem Lettgallischen. Wie ist die Situation dieser alten Sprache und warum ist es wichtig, sich damit zu befassen?

Sprachliche Vielfalt ist in vielerlei Hinsicht ein Wert: Zum einen die pragmatische Fähigkeit zur Kommunikation, aber Sprache bildet auch kulturelle Informationen, Traditionen und Überlieferungen ab, sie hilft, das Land und die Menschen zu verstehen. Gleichzeitig gibt es in aller Welt den Druck großer Sprachen auf kleine, sodass viele dieser Sprachen in ihren Funktionen zurückgehen. Aber Sprache braucht eine Rolle, die Menschen müssen die Möglichkeit haben, in dieser Sprache zu leben. Das Lettgallische ist eine alte Regionalsprache, die eine eigene Schriftsprachtradition hat. Hier geht es nicht um die Abgrenzung zum Lettischen, sondern um die regionale Identität – vergleichbar mit dem Verhältnis vom Niederdeutschen zum Standarddeutschen. In der Region Lettgallen im Osten Lettlands spricht etwa noch ein Drittel der Menschen Lettgallisch.

Sie arbeiten nun für das Leibniz-Institut für Deutsche Sprache in Mannheim. Hier ist eines Ihrer Themen die Auseinandersetzung mit Sprachpolitik. Wie sehen Sie die internationale Rolle des Deutschen?

Sprachpolitik spielt in Deutschland eine weit untergeordnetere Rolle als in anderen Ländern. Häufig werden die Themen unter anderen Labels verhandelt – wie die Rolle von Anglizismen, die aktuelle Genderdebatte oder als Teil der Diskussion über Einwanderung und Integration. International gibt es allerdings eine intensive auswärtige deutsche Sprachenpolitik durch den DAAD und andere Kulturmittlerorganisationen. Aber es geht nicht allein um die Verbreitung der deutschen Sprache, sondern unterstützt wird auch, dass Deutschsprachige andere Sprachen erlernen. Dass Deutschland in der Forcierung des Deutschen weniger stark auftritt als zum Beispiel Frankreich, ist historisch begründet und auch nachvollziehbar, wobei auch keine falsche Scheu an den Tag gelegt werden sollte. Am Ende ist Mehrsprachigkeit das Ziel.

Zur Person

Dr. Heiko F. Marten war bis 2022 Leiter des DAAD-Informationszentrums für Estland, Lettland und Litauen in Riga und ist nun wissenschaftlicher Mitarbeiter am Leibniz-Institut für Deutsche Sprache (IDS). Hier ist er zuständig für „Sprachminderheiten- und Mehrsprachigkeitskonstellationen unter Beteiligung des Deutschen“. Er beherrscht neben Englisch auch Norwegisch, Dänisch, Lettisch und Französisch sowie etwas Estnisch und Spanisch.