„Projektbezogene Finanzierung bedroht die Wissenschaftsfreiheit“

Dr. Milica Popović forscht zur Ökonomie von Wissenschaftsfreiheit. Warum sie Regierungen, aber auch den DAAD bei diesem Thema in der Pflicht sieht, erklärt sie im Interview.

Ausgabe 2 | 2023

Interview: Sarah Kanning

Frau Popović, 2022 hat der DAAD erstmals den „Fundamental Academic Values Award“ für akademische Grundwerte vergeben. Sie haben den Preis erhalten, weil Sie wertvolle Forschungsarbeit zur Wissenschaftsfreiheit geleistet haben. Worum geht es in Ihrer Forschung genau?

Die Globale Beobachtungsstelle für akademische Freiheit (Global Observatory on Academic Freedom) hat das Ziel, Grundlagenforschung zu Wissenschaftsfreiheit betreiben und ein aktuelles Konzept der Wissenschaftsfreiheit, wie sie von der akademischen Gemeinschaft selbst verstanden wird, vorzuschlagen. Wir haben auf die Notwendigkeit hingewiesen, die Dimensionen der Wissenschaftsfreiheit neu zu überdenken und die Position von Nachwuchsforschenden, unabhängigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie Studierenden zu verstehen. Wir haben aber auch versucht, das Bewusstsein für die ungewöhnlichen Verdächtigen zu schärfen, nämlich die Länder der westlichen Hemisphäre und die Angriffe und Übergriffe, denen Akademiker und Akademikerinnen selbst in sogenannten demokratischen Ländern ausgesetzt sind. Darüber hinaus haben wir versucht, den wirtschaftlichen Aspekt, die Ökonomie von Wissenschaftsfreiheit, zu betonen – es gibt politische Zwänge, aber wenn die Finanzierung von Hochschulbildung und Forschung knapp ist und überwiegend aus privaten Mitteln stammt, ist die Wissenschaft zusätzlichem Druck und verdeckten Angriffen ausgesetzt.

Diese ökonomische Dimension hat Auswirkungen auf die Forschung – sowohl an Universitäten als auch für Einzelpersonen. Wie könnte dem entgegengewirkt werden?

Wir erleben weltweit einen zunehmenden Rückgang bei der staatlichen Finanzierung von Hochschulbildung, wodurch Universitäten auf unabhängige Finanzierungsquellen angewiesen sind. Dies führt häufig zu Studiengebühren für (internationale) Studierende und projektbezogener Finanzierung, von der Forschungsinstitute inzwischen fast ausschließlich abhängig sind. Ohne eine ausreichende Grundfinanzierung können Wissenschaft und Innovation nicht gedeihen. Die Wissenschaftsfreiheit wird von den Interessen der Geldgebenden abhängig, und die Forschenden sehen sich gezwungen, populären und politisch passenden Themen „hinterherzulaufen“, zusätzlich zu einem enormen Zeitaufwand für die Vorbereitung von Projektanträgen und das Projektmanagement. Ganz zu schweigen von den psychischen und physischen Belastungen, die dies mit sich bringt, insbesondere für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Anfangsstadium ihrer Laufbahn, die vollständig von Projekten abhängig sind und keine feste Anstellung haben. Die projektbezogene Finanzierung ist eine der größten Bedrohungen für die Wissenschaftsfreiheit in westeuropäischen Ländern und sie macht die Wissenschaft zunehmend angreifbar. Wir brauchen Regierungen, die die Bedeutung von Hochschulbildung und Forschung verstehen und ihre Finanzierung deutlich erhöhen, anstatt Militärbudgets auf Kosten der Wissenschaft zu erhöhen.

Welche Bedeutung haben von der Politik unabhängig agierende Mittlerorganisationen wie der DAAD und wie können sie sich einbringen?

Der DAAD kann eine wichtige Rolle dabei spielen, das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass Regierungen und Gesellschaft der Hochschulbildung und der Forschung zu wenig Aufmerksamkeit schenken, und dafür zu sorgen, dass die internationale Zusammenarbeit in Wissenschaft und Bildung nicht von geopolitischen Erwägungen vereinnahmt wird. Der DAAD kann und sollte die staatliche Finanzierung nicht ersetzen; eine solche Entwicklung wäre gefährlich für die akademische Freiheit, so wie es die projektbezogene Finanzierung im Allgemeinen ist. Vielmehr können der DAAD und ähnliche Organisationen Wissenschaftsfreiheit durch ihre Projekte und etablierten Kooperationen fördern. Der DAAD sollte sich an vorderster Linie für den Schutz der Wissenschaftsfreiheit, wie sie von der akademischen Gemeinschaft selbst verstanden wird, einsetzen, und nicht dem politischen Missbrauch der Grundwerte der Hochschulbildung zum Opfer fallen. –

Dr. Milica Popović forscht zu akademischer Freiheit. Sie leitete die Globale Beobachtungsstelle für akademische Freiheit (Global Observatory on Academic Freedom) und arbeitete als Postdoc-Stipendiatin. Derzeit ist sie als unabhängige Forscherin tätig.