Interview: Klaus Lüber
„Wissenschaft braucht politische Unterstützung“
Politikwissenschaftler und Soziologe Dr. Tim Flink forscht zu Science Diplomacy. Warum die Neuausrichtung von Außenwissenschaftspolitik so wichtig für internationale Forschungskooperationen im Angesicht globaler Herausforderungen ist.
Die Internationalität der Wissenschaft ist schon sehr lange politisch relevant, Forschende brauchen die Unterstützung der Diplomatie. Warum stehen Wissenschaft und Außenpolitik in einem so engen Verhältnis?
Flink: Wir haben es im 21. Jahrhundert mit Herausforderungen zu tun, die grenzüberschreitendes Handeln in der Wissenschaft zwingend notwendig machen. Anders können wir besonders den Klimawandel mit seinen letalen Folgen für Mensch und Natur nicht in den Griff bekommen, ganz zu schweigen von den Veränderungsdynamiken im Bereich Gesundheit, Migration und Sicherheit beziehungsweise deren Verkettungen. Außenpolitik ist mehr denn je angewiesen auf Beratungsleistungen aus der Wissenschaft: um Themen zu verhandeln, die eigentlich zu komplex sind für klassische Diplomatie. Gleichzeitig wird Wissenschaft auch sicherheitspolitisch immer relevanter, allein wegen ihrer technologischen Outputs. Das alles bedarf der Neujustierung der Außenwissenschaftspolitik.
Als Begriff für diese strategische Neuausrichtung hat sich Science Diplomacy eingebürgert. Was genau versteht man darunter?
Flink: Die Royal Society, die britische Akademie der Wissenschaften, hat im Jahr 2010 die drei wichtigsten Dimensionen gut zusammengefasst: Science Diplomacy beinhaltet wissenschaftliche Politikberatung, den Einsatz von Wissenschaft zur Erreichung diplomatischer Ziele sowie die Bereitstellung eines politischen Rahmens für internationale Wissenschaftskooperationen. Ich betone vor allem immer die politische Logistikfunktion, weil sie gerne trivialisiert wird. Wissenschaft braucht aber politische Unterstützung, um gesamtgesellschaftliche Herausforderungen grenzüberschreitend bearbeiten zu können.
Geht es nicht gerade um unabhängige Wissenschaft?
Flink: Um es etwas plakativ zu formulieren: Sie können als Wissenschaftlerin oder Wissenschaftler nicht einfach in die Arktis fliegen und Eisbohrungen zur Erforschung des Klimawandels durchführen. Oder in einem zentralafrikanischen Staat Patientinnen und Patienten Biomarker entnehmen, um ein Medikament gegen eine Tropenkrankheit zu entwickeln. Das alles bedarf einer internationalen Abstimmung auf politischer Ebene. Es bedarf einer soliden Finanzierung. Und vor allem müssen Sie die Gelegenheit haben, mit Forschenden vor Ort zu kooperieren. Wissenschaft wird heute immer mehr zur Teamarbeit.
„Science Diplomacy bedeutet mehr als die Förderung von Bildungsstipendien. Es geht genauso um die Etablierung multilateraler Großprojekte.“
Woran machen Sie das fest?
Flink: Zum Beispiel am Publikationswesen. Wenn Sie sich wissenschaftliche Veröffentlichungen aus den vergangenen Jahren anschauen, vor allem in den MINT-Fächern, dann sind diese fast ausschließlich co-publiziert. Und Co-Publikationen unter deutscher Beteiligung sind zu über 50 Prozent internationale Gemeinschaftswerke, Tendenz steigend. Wissenschaft ist eine hoch internationale, kollektive Unternehmung geworden. Science Diplomacy bedeutet dabei mehr als die Förderung von Bildungsstipendien. Es geht genauso um die Etablierung multilateraler Großprojekte, was durch internationale Forschungs- und Technologieförderung ja auch schon lange stattfindet. Neu ist die Erkenntnis, dass Wissenschaft außenpolitisch relevant ist.
Zu Science Diplomacy als moderner Außenwissenschaftspolitik zählt auch das Eintreten für Normen und Werte wie Wissenschaftsfreiheit. Kann das gelingen?
Flink: Zunächst einmal finde ich wichtig, dass die Politik die Möglichkeit erkannt hat, auch über den Begriff Science Diplomacy eine Wertediskussion anzustoßen. Adressiert werden müssen Fragen der Freiheit, Verantwortung und Sicherheit von Wissenschaft, jenseits des eigenen nationalen Referenzrahmens. Darüber sollten die Hochschulen als Vermittler von Werten gestärkt werden. Die Frage der Kooperationen auf einer geteilten Wertebasis halte ich dennoch für ziemlich schwierig.
Inwiefern?
Flink: Weil wir mit vielen Regierungen eigentlich kaum eine gemeinsame Wertebasis haben – und damit meine ich nicht nur China. Es geht um die Frage, ob trotz eines politischen Wertedissenses, Menschenrechtsverletzungen, Zensurpolitik und sicherheitspolitischer Bedenken internationale Forschungs- und Entwicklungskooperationen möglich sind. Eine Zusammenarbeit mit beispielsweise autokratischen Staaten birgt ja immer das Risiko, deren Systeme zu stützen. Indem man etwa an Technologien mitarbeitet, die sich auch repressiv nutzen lassen. Ich bin generell skeptisch, dass wir durch Kooperation einen Wertetransfer erzielen können, der im Partnerland zu substanziellen Veränderungen des politischen Systems führt. Wohl aber lässt sich Science Diplomacy nutzen, Wertediskussionen über gemeinsames redliches Arbeiten zu führen und Integritätsfragen innerhalb der Wissenschaft anzusprechen – etwa die strukturelle Abhängigkeit des Globalen Südens von einem nach wie vor westlich geprägten Wissenschaftssystem. Hier wird Wissenschaft unmittelbar politisch. Oder man nutzt Science Diplomacy dazu, Räume für einen Austausch über politische Grenzen hinweg zu schaffen.
„Außenpolitik ist mehr denn je angewiesen auf Beratungsleistungen aus der Wissenschaft.“
Wie könnte dieser Austausch dann konkret aussehen?
Flink: Ich denke da zum Beispiel an SESAME, ein Großforschungsprojekt in Jordanien, das erste Synchrotron im Nahen Osten überhaupt – eine Anlage, die energiereiche Strahlung zur Messung physikalischer Vorgänge liefert. Beteiligt sind viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der Region des Nahen und Mittleren Ostens, zwischen denen es bekanntlich starke politische Spannungen gibt. Und dennoch ist eine Kooperation vor Ort möglich. Für mich ist das ein Beispiel für gelungene Science Diplomacy.
Gibt es auch Fälle, in denen Science Diplomacy nicht gelingt, beziehungsweise an ihre Grenzen kommt?
Flink: Ja. Immer dann, wenn man zu viel verspricht und noch nicht einmal Ressourcen bereitstellt. Und wenn zu hohe Erwartungen an die Wissenschaft gestellt werden, die sie nicht einhalten kann.
Welche Erwartungen sind das?
Flink: Dass Wissenschaft bestimmte Herausforderungen wie beispielsweise den Klimawandel nicht nur verstehen und adäquat dazu beraten, sondern ihn möglichst auch noch alleinig verhindern soll. Dasselbe gilt für den Gesundheitsbereich und die hohe Erwartung an medizinische Durchbrüche. Oder eben die Vorstellung, Wissenschaft könne im großen Stil politische Konfliktsituationen entschärfen. Das ist naiv, politisch apologetisch und zudem Ausdruck westlicher Überheblichkeit. In vielen Staaten und Regionen, die sich immens anstrengen, ihre Bildungs- und Forschungskapazitäten aufzubauen, geht es um ganz andere Fragen. Da geht es zunächst – und immer noch – um den Zugang zu Wissen und fairer Teilhabe an wissenschaftlicher Erkenntnisproduktion. Hier von vornherein den Druck aufzubauen, Lösungen für alles Mögliche zu entwickeln, halte ich für fatal.
Erwarten wir inzwischen auch zu viel von der Wissenschaft als gesellschaftlichem Stabilitätsanker? Die Glaubwürdigkeit wissenschaftlicher Erkenntnisse scheint doch eher zu schwinden.
Flink: Der Eindruck trügt. Insgesamt ist das Vertrauen in die Wissenschaft immer noch sehr hoch im demokratischen Spektrum aller Parteien, sowohl in Deutschland als auch in anderen Staaten. Und genau dies kann und sollte man sich im Rahmen einer Science Diplomacy auch zunutze machen. —
Dr. Tim Flink arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bundestagsbüro des Berliner SPD-Abgeordneten Ruppert Stüwe. Dort ist er zuständig für die inhaltliche Betreuung des Ausschusses Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung und des Unterausschusses Globale Gesundheit. Zuvor forschte Flink als Postdoktorand am Robert K. Merton Zentrum für Wissenschaftsforschung der Humboldt-Universität zu Berlin, am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung sowie am Manchester Institute of Innovation Research.